Es ist April 1981 als wir den Plan in die Tat umsetzen. Die Flugblätter hat Mecke gestern abgeholt. “Wird Zeit, dass wir leben” – und das hieß, die offensichtlichen Absurditäten selbst ins Lot zu bringen. So konnte es doch nicht sein.
Das Haus in der Dieffenbachstraße stand leer und ratlos am Straßenrand. Fast so, als würde es selbst nicht verstehen, warum es niemand bewohnte. Die leeren Zimmer versprachen Platz für Träume. Und davon gab es doch genug. Zusammen würde es gehen und die Politik war so mit sich selbst beschäftigt, dass es auf der Hand lag: wir warten nicht, wir machen das jetzt.
Es war klar, dass das Dach zuerst gemacht werden musste. Das Dach muss dicht sein, alles andere kommt danach. Dirk hatte sich das angesehen und versichert, dass man das ganze provisorisch und später auch ziemlich robust hinkriegt. Je nach Material – aber machbar. Der Strom ging einfach so. Auch nicht unwichtig. Und der Rest würde Stück für Stück schon in Ordnung gebracht werden. Bei 30 Leuten ist so ziemlich jedes nötige Geschick mehr oder weniger vertreten. Und jetzt, endlich war es soweit. Die Dieffenbach 74 wurde instandbesetzt und diesem Haus, das sich vielleicht ein bisschen für seinen Zustand schämte, sein Innenleben zurückgegeben.
Man hatte sich gefunden – geeint in dem Gefühl irgendwie vergessen worden zu sein. Dieser alte Kasten war der Beginn von 30 Ideen die hier ihren Anfang finden sollten. Und er war auch der Beweis, dass es machbar war wirklich mal was zu verändern. Diese Wand mit ihren unzähligen Tapetenschichten, das Geländer, dessen fehlende Teile mit Besenstielen geflickt wurden, der große Raum im Erdgeschoss der früher mal zu einer Kneipe gehörte – das war es – unser neues Zuhause. Und wir hatten sowas von Bock und Energie unser Leben selbst zu gestalten. Jeder ausgebesserte Fensterrahmen hatte irgendwie seinen emotionalen Moment. Für die Boulevardmedien war es der Schandfleck der Straße aber für uns definitiv magischer als jedes Schloss. Wer als Kind jemals ein Baumhaus gebaut hat kennt diesen Geruch der Ursprünglichkeit in der Luft. Die zig mal gedudelten Scherben-Kassetten sind zu einem Soundtrack geworden.
Es war 1981, die Zeiten waren wirr und voller Möglichkeiten – wir waren Punks, Studenten, Arbeitslose, Berufstätige – und wir waren mitten drin.

 

Ob man so etwas nochmal machen wird? Sich einfach unbedarft in eine Ruine setzen und sagen: Na ja, Geld ist keins da – aber irgendwie wirds schon? Es ist 1995. Die Szene hat einen neuen Sound und den Hedonismus für sich entdeckt. “Her mit dem schönen Leben“ – und das hieß feiern – und zwar so wie wir es wollen. 5 Jahre nach der Wiedervereinigung begann sich der Nebel zu lichten und enthüllte neue alte Strukturen, die nicht erhofft, aber doch erwartet werden mussten. In der Ernüchterung entstand ein neuer Pragmatismus: nicht nur kämpfen, sondern auch leben.
Fünf Jahre zuvor wurde die Mainzerstraße in Berlin geräumt – nach nur 4 Monaten. Die Polizei mit robustem Mandat. Warnschüsse die durchaus welche waren. “Es gibt kein richtiges Leben im falschen” – das hatten ja mittlerweile alle begriffen. Aber ein besseres im guten – das vielleicht schon, wenn auch nur vorübergehend. Es galt eine Gesellschaft auf zumischen, zu verwirren, zu überraschen. Doch die Partygesellschaft, die die Baulücken des Alltags längst zu besetzen wusste, war effizient und organisiert. Man war Teil einer Zielgruppe und die Inseln zwischen den Wochen, die jedem die Freiheit boten, die der Markt ansonsten für sich beanspruchte, wurden zunehmend eingefriedet. Doch jeder Zaun hat seine Lücke.
Es war 1995 und die Polizei wollte nicht räumen. Personalmangel und Eskalationsvermeidung. Die Wiese in Mecklenburg-Vorpommern war besetzt, niemand der 200 Leute war verantwortlich und es lief Techno. Dann waren es 700 und diesmal sollte es ein Ort sei, der sich vielleicht ein bisschen für seine Vergangenheit schämte. Doch die Ära der Düsenflieger war in Deutschland vorerst vorbei. Man hatte sich gefunden – ein Ort der eine neue Geschichte brauchte und Leute die sie in ihren MB-407 auf das Gelände bringen. Es war der Traum anders zu feiern. Gemeinsam, miteinander und durcheinander. Es sollte etwas entstehen statt präsentiert zu werden. Die Ideale waren geblieben und hier sollte ihr Ferienort sein. Eine Fusion aus Idealismus, Genuss und Kostendeckung. For those who know. Hier ein bisschen Strom, da eine Wasserleitung – und zwei Turntable. Techno, Trance, Dubstep oder House – Electro war der Soundtrack einer neuen Zeit in der Partys so gefeiert würden wie man wollte. Der Bretterverschlag war die schönste Bar die es gab und der Underground versprühte aus Versehen einen aphrodisierenden Dunst.

 

Ein Traumland, gewissermaßen und ein Glaube an Alternativen, die so schön sind wie das Wort Alternative. Das Tasten nach Gegenpolen, Auftrieb in einen Wind der alle Fenster öffnet und die Schwere in die Stadt entlässt.
Ideen gibt es viele, aber das sind eben auch viele Ideen. Die Anfänge stapeln sich oder werden gnadenlos knapp und die Zeit ist voller Möglichkeiten. Es ist 2007 – und sie sind alle da. Die Wand mit ihren unzähligen Tapetenschichten, die so herzzerreißend aussieht, dass sie ein verbotenes Foto wert ist, die muffigen Sofas, die hölzerne Bar. Nur die Bretter sind nicht freiwillig hier, man musste sie festnageln. Sie erzählen Geschichten, weil sie nicht anders können und werden gefeiert dafür. In niederen Frequenzen ist er immer noch da, der alte Druck der uns tanzen lässt in einem Augenblick, in dem alles fusioniert ist, alles besetzt ist und das Chaos verspricht nicht mehr übergriffig zu sein. Wir hatten uns gefunden – ein Ort, der sich nicht schämen muss, weil er hält wofür wir ihn bezahlen und wir die einen Platz suchen, der dreckig genug ist für die Geheimnisse die sich nur noch hier verstecken lassen. Der uns vergisst und vergessen lässt an was wir uns Morgen wieder erinnern wollen, uns eine Nacht lang verzaubert, analysiert, aufs Pflaster spuckt, uns selbst überlässt. Es ist 2007 – die Zeit ist voller Episoden die wissen, wo sie hingehören. Und uns die wissen was sich gehört, abschweifen und sich nicht schämen müssen, weil wir halten für was man uns bezahlt.

Wir bleiben – so lange wir wollen, wir danken für die gute Zeit – aber wir werden nicht bleiben. Kein Jahrzehnt, keinen Sommer.