Die Broilers feiern das Revival des Konzeptalbums

Es ist erstaunlich, wie unterschiedlich Menschen Musik hören. Da gibt es die, denen es um die Musik selbst geht. Andere hängen an den Texten. Einige hören einfach ein Genre-Radio auf Spotify und andere wieder verfolgen das Schaffen bestimmter Künstler von Album zu Album. Ich zähle auf jeden Fall zu den Text-affinen Band-loylen Hörern. Und so verfolge ich verschiedene Bands und deren Veröffentlichungen recht aufmerksam.

Als ich im Jahr 2007 durch das Album “Vanitas” auf die Broilers aufmerksam wurde, rutschte die Band augenblicklich in mein persönliches Portfolio. Die Musik eine geschmeidige Mischung aus Punkrock und Popmusik. Die Texte eine Melange aus Eloquenz und Pathos. Auch heute noch eines meiner absoluten Top-Ten Alben und an dieser Stelle eine unbedingte Empfehlung.

Von diesem Peak aus verfolgte ich von da an jede Veröffentlichung der Broilers. Es folgten Platten, die noch immer stark waren (“Santa Muerte”), dann eines bei dem sich abzeichnete, dass die Band den Weg ins Radio eingeschlagen hat (“Noir”) und dann das doch wieder  versöhnliche Album “[sic!]”, das musikalisch zwar wieder politisch und kantig dafür aber musikalisch auch irgendwie konzeptlos erschien. Damit waren die Broilers dann in der Kategorie “Die alten Alben waren eben die besten” einsortiert. Man kennt das – man hört sich die neuen Dinger an, aber irgendwie will die verdammte Rakete nicht abheben. Liegt es an der Nostalgie? Ist man weniger Begeisterungsfähig? Möglich.

Und dann kam 2021 “Puro Amor”. Aus Loyalität und Neugier habe ich den Release-Termin notiert. Die Singleauskopplungen waren solide. Aber umgehauen haben sie mich nicht.

Als das Album dann geliefert wurde, bestätigte sich mein Eindruck. Nach dem ersten durchhören blieb kein Track sofort hängen. Ich hatte nicht wirklich einen Refrain im Kopf, den ich fortan vor mich hin summte.

Klar, ich hatte das Album nach den Krachern gescannt und nach Stücken gesucht die mich an meine Favorites erinnern – und bin nicht fündig geworden.

Was im ersten Moment etwas enttäuschte, führte im zweiten Moment aber zu einer gewissen Neugier. Es gibt diese Songs, die sofort Dein Freund sein wollen. Und diese, die einfach etwas Eigen und nicht Everybody’s Darling sind. “Puro Amor” ist voll von zweiter Kategorie. Und das ist das Geheimnis dieser Platte.

Während die Album-Hits nach dem pausenlosen suchten irgendwann ins Gegenteil kippen, entfalten die Songs der anderen Kategorie ihr Potenzial langsam aber umso intensiver.

Die Broilers sind mittlerweile “Jugendliche von 40 Jahren”, wie sie sich auf “Puro Amor” selbst bezeichnen. Nach einer so langen Zeit als Band ist man sicher souverän genug um Fan-Service zu produzieren, so wie es die Ärzte leidlich tun. Oder sich mal so richtig rund zu schleifen, wie es bei den “Toten Hosen” der Fall ist, die mit “Der Krach der Republik” besser ihren Abschied gefeiert hätten. Und für eine Band, die man in Großbuchstaben auf “Rock am Ring”-Postern findet, dürfte sicher auch Major-Deal drin sein. Und was machen die Broilers? Nichts davon.

Mit “Skulls & Palms Records” organisieren sie sich höchst selbst und zeigen musikalisch und textlich, wie cool Erwachsen sein auch sein kann. Nicht peinlich jugendlich, nicht mit der Abgeklärtheit kokettierend. Und als das Album seine fünfte Runde dreht, wird klar wie perfekt das alles zusammen passt. Zwischen “Wir bleiben die, die wir war’n – dass man daran überhaupt zweifeln kann” und “Ich sorg’ dafür, dass die Platte springt und der Film an der besten Stelle hängt”, spiegelt sich die Auseinandersetzung mit dem Leben und der Welt. Es geht um die Liebe (natürlich), um Tod, um Lebensentwürfe und um Europa. Dazwischen ein paar ganz dezente Insider-Referenzen an vergangene Zeiten.

Ein bisschen die musikalische Variante eines Abends mit Bier und Freunden. Etwas, von dem es nicht genug geben kann.

Dass mit “Alles wird wieder ok” und “Gib das Schiff nicht auf” auch noch der Soundtrack zur Corona-Pandemie abgeliefert wird, ist laut eigener Aussage Zufall. 

Und so ist “Puro Amor” ein Album, das man aus anfänglich nicht ganz erklärbaren Gründen wieder, wieder und wieder hören will. Bis man merkt, der Hit, den man sucht, ist das Album selbst. Und zwar vom Anfang bis zum Ende. Keinen  Song will ich skippen, weil jeder einzelne Song dazu gehört. Damit ist das Album auch eine klare Ansage gegen die Best-Of-Playlisten-Kultur, die so manche Band dazu veranlasste Ihre Songs an der Wahrscheinlichkeit auszurichten, von Spotify oder Fans in eben jene einsortiert zu werden. Mit anderen Worten: auf pure Gefälligkeit zu trimmen.

Die Broilers feiern mit “Puro Amore” damit auch das Revival des Konzeptalbums, das einfach etwas Beschäftigung für sich beansprucht. Allein das finde ich einfach wunderbar.

Am Ende verabschiedet sich das Album mit den Zeilen „Lebe, Du stirbst“ und fasst sich damit gewissermaßen selbst zusammen. Das hat man sicher nicht zum ersten Mal gehört. Aber selten wurde man so charmant daran erinnert.

Allen, die etwas mit von Instrumenten gemachter Musik anfangen können, kann ich dringend empfehlen “Puro Amor” einige Durchläufe zu gönnen. Viele derart intelligent arrangierte Rock-Alben gibt es nämlich nicht.